Mittwoch, Juli 26, 2006

Von einem Konsolen-Diptychon

Videospiel-Zocken – des Mannes Freud’, des Weibes Leid? Wollen wir die Beurteilung dieses Klischees einmal beiseite stellen und sehen, was mir das Zocken in meiner Japan-Mission gebracht hat. Nach etwas Brainstorming dünken mir zwei Namen: Shenmue und Tokyo Busguide. Ersterer dürfte manchem vielleicht ein Begriff sein, es handelt sich um ein von Sega Ende 2000 herausgegebenes Spiel, zunächst exklusiv für die leider gescheiterte Konsole Dreamcast. „The game is so graphically beautiful, breathtaking in its music, and intense in its story and gameplay“, heißt es auf einer mir von Herrn Furtwängler empfohlenen Videospiel-Seite (siehe Quellen). Und in der Tat – ich erinnere mich unheimlich gern an durchspielte Wochenenden, niemals war ich selbst am Controller, sondern immer nur Pubertäts-Nerdtum-Cheerleader für Bruder und damaligen Freund. Worum es ging? Wahrscheinlich (viel mehr ist mir die Stimmung in Erinnerung geblieben als so Profanes wie Inhalt) um einen junger Japaner, Ryo Hazuki, der irgendetwas standardmäßig aufzuklären hat, und dabei (standardmäßig) eine moderne, japanisch anmutende Welt durchqueren muss, ein (standardmäßig) Mädchen kennenlernt, und am Ende, gedankt sei’s den flinken, nerd-nutella-brot-verschmierten Jungens-Fingern, obsiegt – ein Rollenspiel wie jedes andere?

Oh nein, natürlich ist es das nicht. Ryo kann nämlich in der atmosphärisch höchst dichten Welt nahezu alles tun, was er möchte, auch für die eigentliche Handlung völlig Sinnfreies. Darunter: sich um ein kleines Kätzchen kümmern, dazu im japanischen Supermarket Futter kaufen, die Spielhalle frequentieren, sich dort an Sega-Arkaden-Perlen erquicken (letztendlich erquickt sich selbstverständlich der Controller-Halter selbst), Dart spielen und als Gabelstaplerfahrer arbeiten, schlafen gehen, wildfremde Menschen ansprechen und hoffen, dass sie einem womöglich japanisch-freundlich weiterhelfen, und ab und zu musste auch ein Event bewältigt werden, in dem plötzlich ebenso wildfremde, angreifende (Immer-)Männer mit einer schnell aufleuchtenden Tastenkombination zu grafisch hochwertigem Boden befördert werden mussten. Natürlich hatten eben jene auch eine Auskunftsfunktion für die eigentliche Mission, die man inmitten der fast naturgetreu dahinziehenden Tage und Wetterlagen, umrahmt von der damals grafisch euphorisierenden Kleinstadt, bisweilen arg vernachlässigte. Soweit die Theorie.

Die blogrelevante Praxis? Ich bin nach längerer Recherche endlich auf eine Seite gestoßen, die mir offenbarte, was die japanische Konsolenwelt zusammenhält. Shenmue machte es mir möglich, Japan zu besuchen, ohne es zu besuchen (wieder das bereits erwähnte Reise-Simulakrum, das so oft in meinen Überlegungen greift). Stromern durch kleine Gässchen, japanische Supermärkte und Blumenläden, herrlich gedankenbildbestätigende Wohnhäuser und einfach so, ohne die Hemmungen, die mich so oft während der Blogsättigung begleitet haben, Menschen ansprechen, die (höhö) japanisch aussehen. Und habe ich wirklich Japan besucht oder wurde einem da nur eine Reise vorgegaukelt, die so niemals realisiert werden kann? Folgende Bilder sollen diese Frage für sich allein stehend zumindest in eine Antwort-Richtung kippen (links im Spiel, rechts die möglichen Paten-Orte).


War da nicht noch etwas? Tokyo watt? Tokyo Busguide (Ende 1999). Grafisch sehr viel schwächer, aber ebenfalls auf der immer noch zu betrauernden Dreamcast, importiert über den Spielehändler meines Bruders Vertrauen (Mowin, am Jakobertor, Augsburg). Das Spielziel? Nun gut: in Tokyo Busfahrer sein. Den Bus lenken, Ansagen machen (Controller-Knopf drucken und eine samtene Stimme kündet vom nächsten Halt), möglichst nirgendwo anstoßen, korrekt blinken und abbiegen und das durch drei Tageszeiten und durch Tokyo hindurch. Ein Spaßspiel, ja. Aber, angesichts dessen, dass ich selbst Hand und Aug’ anlegte, ebenfalls sehr atmospährisch. Wo Shen Mue u.a. noch zarte Landidylle durchdrungen vom Bösen (hätte Ryo sonst etwas zu tun?) darstellt, ist Tokyo Busguide Stadt-Szenerie mit wirklicher Idylle. Man durchfährt Industriegebiete, Downtown, Wohngebiete im Grünen. Ob es um realen Sznerien nachempfunde Virtuell-Land- und Stadtschaften handelt, konnte ich nicht ausmachen. Unten jedoch Vergleichesbilder.

Einmal habe ich das Abenddämmerungs-Level durchgespielt, es geschafft, meine ganz eigene Rundfahrt durch Tokyo, das leicht skurrile, weil nicht reale, aber doch fesselnde Schauen und das eigentlich geforderte Buslenken zu vereinen. Wenn ich doch nur einmal dürfte (die Dreamcast meines Bruders ist mittlerweile mit den meisten Spielen verschollen)!

Beide Spiele lassen sich jetzt, ganz wie im kunstwissenschaftlichen Diptychon-Prinzip, wunderbar aufeinander beziehen. Sie kommen alle zwei aus Japan, Shenmue aus dem Kopf des Programmier-Propheten Yu Suzuki. Legt man die CDs ins Laufwerk, wuchert Japan auf die Fernsehbildröhre. Shenmue birgt in seinen abertausenden Bytes das Japanbild seines Bitmeisters Suzuki. Und das durchschreitet man spielend. Durch die zahlreichen netten Beschäftigungsaccessoires kommt Alltag ins Spiel des Spiels – man rennt nicht blind durch die polygonen Auen, sondern schaut sich um, erlebt mit, selbst man nur, wie ich, das Spiel vom Sofa aus ab und zu mit von dämlichen Kosenamen angeführten Anfeuerungs-Rufen bereichert. Ich habe viel mehr das virtuelle Japan bewandert, als dass ich das Spielgeschehen verfolgt hätte. Tokyo Busguide birgt, neben der Tatsache, dass man den Touri-Bus durch die Stadt auch noch selbst lenkt, das „totel crazy“-Japan-und-seine-lustigen Freak-Freizeit-Formen-Potenzial. Es ist klischeebestätigend abgedreht, weil gerade so simpel, dass es vielleicht ohne seinen Import-Bonus auf dem europäischen Markt kaum eine Chance gehabt hätte.

Beide Spiele sind Sightseeing in Japan – komplementär (Stadt-Land). Nicht real im eigentlichen Sinne, aber doch so echt, weil japanisch.

Quellen:

  • Shenmue, Sega, 8.November 2000

  • Tokyo Busguide, Fortyfive, 30. November 1999

  • Shenmue-Review: http://dreamcast.ign.com/articles/164/164499p1.html

  • Shenmue-Vergleichsbilder: http://shenmueangel.free.fr/shenmue/saga_lieux_realite_jeu.php

  • Bilder Tokyo Busguide (von links nach rechts):

http://onlyagame.typepad.com/only_a_game/2006/01/the_imagination.html,
(nächste beide) http://media.dreamcast.ign.com/media/013/013166/imgs_1.html, http://www.gamespot.com/dreamcast/strategy/tokyobusguide/screenindex.html