Freitag, Juli 28, 2006

Von Ikonografie und Fransen


An dieser Stelle steht gerne folgender Gag („…“ steht für schluchzenunterdrückende Redeunterbrechungen): „Ich möchte ... mich … bedanken bei … Anastassja, wie ich sie auch gerne nenne: Aya, der Freudin meines Herren … Bruder“ Tatsächlich erwachsen aus den Obuli eben jenes Mädchens meine letzten drei Posts. Nach monatelanger vergebener Kommunikation mit dem Bindeglied, meinem nächsten männlichen Verwandten, besuchen er und sein Mädel mich schließlich am See für einen Sprung in selbigen und sie bietet mir statt Golde aus dem Morgenland Anschauungsmaterial aus noch viel früher am Tage sonnenbeschienenen Staaten dieser Erde dar.

Tatsächlich bereitet die 15-Jährige in einem Alter, in dem ich mich gerade von der Bravo-Lektüre lösen konnte, schon lange ein Steckenpferd, wie man es selten kennt: Japan, id est japanische Sprache, Kultur, Musik (ein ausführliches Fangirl-Portrait soll meinen Blog abschließen). Zunächst aber will ich mich dem Presseerzeugnis widmen, das seit ihrem Besuch in einer Stofftasche an meiner Wand ein ignoriertes Dasein führt.

Ein erstes Blättern in der „Fool’s Mate“, eine viel „Visual Kei“- aber auch anderes Musikzeitschrift, ist schon deswegen ein horizontexpandierendes Erlebnis, weil man – („oh toll“) – von hinten anfängt zu blättern. Sie erscheint irgendwie fester gebunden und das Format ist ebenso nicht eurotypisch. Fast wirkt das Heft wie ein Buch, wertvoller, schätzebergender. Man birgt tatsächlich erst einmal Dutzende Netze Bilder. Sehr schön fotografierte junge Menschen, eher Männer, wie ich mich aufklären lassen. Je weiter ich in der tatsächlich entzifferbaren Seitenzahl fortschreite, desto mehr erscheint mir die „Fool’s Mate“ wie ein Bilderbuch, ein Fotoband. Text ja, aber ikonografische Inszenierung - oh ja. Meistens die gleichen Frisuren: Glatt und fransig. Eine Nachfrage erhellt mich, dass „das halt grad Mode ist.“ Viel mehr kommt es mir vor wie ein Szenecode. Spannend auch für den Typografen und den Linguisten: Die Überschriften sind meistens in Englisch gehalten, der Rest verliert sich (zumindest für meine Augen) in Unverständnis. Europäische Schriftzeichen, genuin zur englischen Sprache zusammengesetzt, als (ha!) Zeichen auf eine gewisse Internationalität? Geht herrlich auf, wie ich finde.


Vorgestern dann steige ich aus dem 2er am Bahnhof aus. Ich betrete den Bahnhofskiosk und fange an, wahllos aus den eng gedrängten Papierprodukten herauszuziehen, was irgendwie nach „Bling“ aussieht. Mein Ziel: ein ikonografischer Vergleich zwischen der Inszenierung von Musik in meinem japanischen Goldstück (das übrigens aus einem Spezialgeschäft in München stammt) und den HipHop-Zeitschriften, die ich vom Bruder meines Liebsten kenne. Ich entscheide mich schließlich für die „Juice“, „HipHop [Music – kann ich nicht entziffern, der Hut des auf dem Titel abgebildeten Outkast-„Sängers“ steht mir im Weg], Styles and Culture“. Und beginne zu blättern. Zunächst bin ich etwas enttäuscht. Wenig Bling, zumindest weniger als erhofft (vielleicht, weil es die deutsche Ausgabe ist), mehr Text. Und doch finde ich ein paar Mannen, die sich bereitwillig vor die Linse trollen. Und im Grunde ist die Inszenierung dieselbe: Es regiert die Prätentiosität. Was vor den japanischen Foto-Leinwänden die Verkleidungen und das Make-Up sind, die Schichten des Vorgebens, des Eindruck-Erweckens und der Seins-Produktion, sind auf den zumeist US-amerikanischen, wie ich wage zu mutmaßen, lächerliche Accessoires wie Frauen, Schmuck und mal so ein bisschen Auto. Selbstverständlich ist der Hintergrund hier nicht synthetische Studioausstattung, sondern „Street“. Mal blauer Himmel, meistens aber Mauern, mäßig gut geputzt, mal grafittiverziert. Und so wird selbst der Hintergrund der Bilder Teil des Profilbildungsprogramms.


Ja, ich habe mir auch noch eine Zeitschrift aus dem Genre geleistet, von dem ich glaube, zumindest ein wenig mehr Ahnung zu haben: die Visions. Und ich kam nicht umhin mich zu fragen (ein Zitat!): Wird denn hier nicht genauso gepost? Gerade in einer Szene, die eigentlich doch eher auf Authentizität pocht, muss sich doch zwischen dem Pochen etwas finden lassen. Und selbst abzüglich das Faktors, dass in der Presse zu sehende Fotos immer Inszenierung und textfreie Imagebroschüren sind, werde ich selbstverständlich fündig: Man beachte die Frisuren. Auch hier, klar, ein szeneinterner Code. Doch auch der Blick, klar und einfach so „Jungs, mal hierher schauen“ in die Kamera, heißt: „Hey Mann, wir wollen doch einfach nur Musik machen.“ Ikonologie fertig!


p.s.: Es war auf dem Balkon, da ich Aya fragte, was sie denn nun von Tokio Hotel halte und sie den Mund verzog. Ein Griff zur Musikzeitschrift und ein Kenner-Klick an meinem PC und Folgendes erschloss sich:

Bill von Tokio Hotel hat sich wohl, so sagt mir Aya (konnte den Forumsthread leider nicht ausmachen, obwohl ich mich sogar selbst angemeldet hab, was ich auch nie gedach hätte), öfter im selben Internetforum herumgetrieben wie sie: animexx.de („Animexx.de ist ein Onlineclub, der allen Freunden von Anime, Manga und japanischer Kultur offen steht.“). Heute enttarnt man ihn dort der Imitation des japanischen Visual Kei-Künstlers Miyavi.

Quellen:

  • Fool’s Mate. Rock Press, Nr. 292, Februar 2006
  • Juice. HipHop, Music (?), Styles and Culture, Ausgabe 08/06, August 2006
  • Visions, Nr .161, August 06

Alle Bilder jeweils dort entnommen.

  • Bild Bill Kaulitz: http://www.osobnosti.cz/img/userpics/2/25765.jpg
  • Bild Miyavi: J*beat, Nr.1, August – Oktober 2005