Freitag, Juli 28, 2006

Von Mangas, Animés, Fremdheit, Hygiene, japanischem Rock, Vorurteilen und Sushi

Fast bin ich versucht, von einer anderen Generation zu sprechen: Sieben Jahre liegen zwischen Anastassja, der Freundin meines Bruders, und mir. Zum Ende meines Blogs erlaube ich mir jetzt doch einmal etwas Altklugheit: Die heute 13-16-Jährigen hatte ich abgehakt unter „denen“: „denen“, die ja so was von frühreif sind (so was hätten wir in dem Alter und so), „denen“, bei denen die Typen wie vom Band in die Busse einsteigen (Mädels überschminkt und behängt, Jungs überposed und mit hängenden Hosen) , „denen“, die gern von entrüsteten Pensionären ermahnt werden, die mit den Füßen samt Schuhen aufgerüsteteten Bussitze von jenen zu befreien. Und natürlich haben sie entweder keinen Musikgeschmack, hören HipHop mit Zeigefinger-Mittel/Ringfingerverschränkung-kleiner Finger-Gesten oder Tokio Hotel. Bildung, Schule, Interesse? Och nö, lieber H&M und ‚Mäc’.

Die bereits mehrmals erwähnte Aya aber passt da nicht ganz so simpel rein. Hätte ich sie im Bus gesehen (mein liebster Observationsplatz), wäre sie wohl auch auf obig beschriebenem Haufen gelandet, obwohl sie nicht einmal in meine gern genommene Kategorie „Tussi“ fällt. Sie ist ein natürliches Mädchen – und hat, hach, wie sich die Welt doch geschmeidig fügt, mehr Ahnung von Japan, als ich während des Semesters überhaupt hätte sammeln können.

So sitze ich also auf meinem Balkon, noch vor dem Frühstück, habe meinen Uniblock und Kuli neben Brötchenteller und Messer und investigiere. Sie sitzt die ganze Zeit neben meinem Bruder. „Angefangen hat’s mit Sailormoon“, lacht sie, als ich ganz konventionell nach dem Startpunkt der Manie frage und erscheint sich allzu bewusst, welchen Ruf die großäugigen Flugmädchen hinter sich drein ziehen. Und doch finde ich es klassisch und, ich erlaube mir eine Wertung, okay. Wie soll man auch sonst als Siebenjährige seiner Japan-Begeisterung begegnen? Bestimmt nicht bei einer Reise, bei der die übliche elterlich organisierte Tempeltour die präpubertäre Aufmerksamkeitsspanne allzu harsch quält. Ihr Interesse wandert also von Animés (die zweifelhaften RTLII-Serien taugen also doch zur Bildung) zu Mangas (mit neun bis zehn Jahren) zu Kultur und Sprache und dringt von zuerst Worms, dann Augsburg per Fernlektüre immer tiefer in den fernen Kosmos ein. Während ihrer ersten Zeit auf dem Gymnasium lernt sie die ältere Schwester einer Freundin kennen. Die führt sie ein, in Musik und Kultur. Seit drei Jahren lernt sie Japanisch an der VHS. Sie zieht ein Büchlein mit Schriftzeichen aus ihrer seminarrelevanten Wundertüte und gibt mir eine Einführung, die ich jetzt schon nicht mehr fähig bin zu rekonstruieren. Ich weiß nur noch um mein Erstaunen.

Dann stelle ich eine Frage, auf die ich eigentlich schon meine, die Antwort zu kennen, nur noch für den pro forma-Ot-Ton sozusagen: „Und wie geht’s voran mit den Lernen?“ – „Nicht so gut.“ - „Hm. Kann man sagen, dass es einfach dauert, Japanisch zu lernen, dass das ganz normal ist, dass es so lang dauert, weil die Sprache einfach schwer ist?“ – „Nö. Ich bin einfach zu faul zum Lernen.“

Auch gut. Sie lacht halbverlegen.

Dann gewinnt auch mein knurrender Magen die Diktatur über die verarbeitende Hand.

Später sind wir an hiesigem Strandbad.

„Mich hat’s halt interessiert. Da hab ich mich im Internet informiert, bin auf das Forum gekommen [bereits erwähntes animexx.de] und war immer auf dem Laufenden.“ Eine Leidenschaft im Kommunikationszeitalter, ja, so was lädt zu Floskeln geradezu ein. In Fernsehreportagen habe sie dann das Land Japan kennen gelernt. „Und dann willst du sicher nach Japan reisen?“ – „Jaaaa“, sagt sie in einem Tonfall, in dem sich gern auch viel teeniehaftere Schwärmereien über bereits erwähnte Sänger bewegen und zieht das Badetuch unter sich lang. Und sie hat einen Deal: Wenn sie die Fachoberschule schafft, als in gut drei Jahren, legen Großeltern und Eltern für eine Reise zusammen. Was sie denn so an der japanischen Kultur fasziniere: „Dass sie so anders ist, voll ungewohnt.“ Unser Seminarsparadigma. Ich bitte um Präzision. „Der Kleidungsstil, das Essen, das Verhalten, die Erziehung, die Häuser, die Kampfkunst, die Sprache. Außerdem ist da alles voll hygienisch.“ Das Mädel hat sich aber informiert. „Kennst du den Film Shogun?“, fragt sie mich. Nicht wirklich. „Den musst du dir mal anschauen, der beschreibt die frühere Zeit und die Geschichte sehr gut.“ Was hab ich eigentlich geschaut, als ich fünfzehn war?

Dann erzählt sie vom Freund einer Freundin, einem Japaner, der Deutsch in seiner Heimat studiert und ab und zu nach Deutschland kommt. „Der hat bei ihr gegessen und hat sich erst Essiggurken, dann Salami, Chips und Kekse reingezogen.“ - „Der ist aber auch dünn“, wirft mein ebenfalls sehr schlanker Bruder ein. „Da bin ich ’ne Fettsau dagegen.“ Auch solche profanen Erkenntnisse bergen also Begegnungen mit Japanern.

Die gängigen Vorurteile muss sie doch auch kennen, wenn sie sich so intensiv mit einer fremden Kultur beschäftigt hat. Aya drückt es so aus: „Naja, leicht bekleidetet junge hübsche Japanerinnen, die sich dann quer durch die Stadt…, oder?“ und „Leute, die ‚Chingchangchong’ sagen, wenn Japaner vorbeigehen.“ Einfach und treffend. Und „gar nix“ sei dran, empört sie sich.

Auf die Frage nach ihrem Japan-Bild meldet sich mein Bruder zu Wort: „Darf ich auch was sagen?“. Nun gut: „Japaner üben nie direkt Kritik. Die sagen nicht: Deine Frisur ist scheiße, sondern Deine Frisur gefällt mir, aber eine andere würde dir auch gut stehen.“ Stolz blickt er auf seine Freundin. Die scheint kritisch: „Ich weiß, dass Chinesen das machen, aber Japaner…?“

Dann darf er aber doch noch etwas sagen, nämlich wie es in Ayas Zimmer aussähe (klar, welche Antwort ich erwarte). „Aufgeräumt.“ Ja, und irgendwelche japanischen Elemente? „Eine PSII und den Fernseher von Sony“, hallt es einhellig semi-ernst herüber. Und irgendwie bin ich fast ein bisschen erleichtert, dass ihr Leben noch nicht ganz so durchdrungen ist, von ihrem Wissen und ihren Interessen. Sonst wäre sie mir fast ein wenig unheimlich gewesen. Auch ihre Präferenz für die japanische Musik begründet sie mit „weil sie anders ist. Es ist irgendwie … einfach anders, ja.“ Gut, kann man wohl nicht beschreiben. Ich mag Muse ja eigentlich auch gerade deswegen.

Mein Fragenkatalog geht langsam zu Ende. Ich weiß alles, was ich wissen wollte. Ich bin schon dabei, Kuli und Block in der großen Badetasche zu verstauen und habe mir gerade eine Vollkorn-Prinzenrolle zugeführt, als sie noch einwirft: „Und ich liebe Sushi.“ Ist notiert.