Montag, Mai 29, 2006

Vom Anspruch des Kino-Ausschusses

Die Japan-Suche - wo vor ein paar Wochen noch eine Ozean an Ideen nur so danach lechzte, ausgeschöpft zu werden, sickert jetzt nur noch ein hochsommerlich ausgetrocknetes Rinnsal. Der Feedreader ist aber auch ein Werkzeug des bösen Musen-Teufels. Da startet man ihn nach fünf Tagen wieder einmal und wird überschwemmt von einem amazonasgleichen Strom am demografischen Grafiken, beeindruckenden Fremdwörtern, Blogs in immensen Blöcken und einer adipositösen Fülle an spannenden Ideen. Alles, was einem selbst eingefallen ist, und einschüchternder noch, was einem nie in den Sinn gekommen wäre, wird dort aufgeführt, wissenschaftlich ausgeklopft und grafisch ästhetisch aufbereitet.
Was bleibt also noch? Ich blicke auf den rot beschriebenen Notizzettel und alles, was der mir bietet, lässt sich auf den ersten Blick nicht mehr zu als kleinsten Episödchen ausklopfen. Und dennoch möchte ich mich einer gerade aufkeimenden Idee mit der geistigen Gießkanne nähern - vielleicht ist es auch das, was einen das Blogschreiben lehrt: Die anderen Einträge wurden auch nicht an einem (Nachmit-)Tag gebaut. Für Berichtigungen dieser unausgegorenen Erkenntnis steht 24 h der Kommentar-Button am Ende dieses Eintrags zur Verfügung.

Ganz zuletzt steht Scary Movie auf dem rosa Papierquadrat. Ich gestehe hiermit offiziell, dass ich vorletztes Wochenende in einem wohlgemerkt wohlüberlegten Anfall der Trash-Lust diesen Film im hiesigen Cinestar besucht habe (wir waren zu viert im Saal). Nebenhandlung hinter dem dominanten Programm der möglichst albernen parodistischen Collagierung möglichst vieler relativ aktuellen Horrorfilme war, dass Blondchen Cindy immer wieder die Erscheinung eines japanisch aussehenden Gruselkindes hatte. Nach einigen Begegnungen, die hauptsächlich Kreischen in Dolby Digital beinhalteten, fasst sie sich schließlich ein Herz und spricht den Jungen an. Die beiden unterhalten sich auf Japanisch. Er erzählt ihr, wie ich meine, mich zu erinnern, von seiner Vergangenheit. Wieso ich mich nicht genau erinnern kann? Die eigentliche Essenz des Gesprächs ging im Lachen der spärlichen Zuschauer unter. Denn das vermeintliche Japanisch bestand in der Aneinanderreihung verschiedener japanischer Wörter, die mittlerweile Eingang in die europäische und US-amerikanische Kultur gefunden haben. Darunter fand sich beispielsweise eine Serie von Automarken, die konform der im Untertitel auf deutsch erläuterten angeblich ausgetauschten Informationen melodramatisch betont wurden.

Gruselkind: "Nissan Suzuki Toyota!" - Wasserstoff-Cindy: "Toyota? Tempura... Manga Nagasaki Hiroshima Yoko Ono Origami...?" - Gruselkind: "Sushi." (Nicht originalgetreu, nur zu Demonstrationszwecken).

Diese Episode habe ich nach Wegwischen der Lachtränen deswegen gespeichert, weil sie mir erstens klar gemacht hat, welch imposante Menge an japanischen Ausdrücken und damit Kulturgütern und -praktiken selbstverstädlicherweise bereits in Europa wohnen. Nahezu alle Begriffe waren mir bekannt, bei ihrer Nennung leuchtete mir sofort ein entsprechendes Bild in die Dunkelheit des Kinosaals hinein. Und trotzdem hatte ich gerade enorme Schwierigkeiten, mir nur einen Bruchteil dieser Worte wieder ins Gedächtnis zu rufen - einerseits also eine geschmeidige Assimilation japanischer Kultur mit der mir heimischen europäischen - ich kann zu jedem Begriff ein geistiges Abziehbildchen zeichnen. Andererseits aber auch immer noch eine Fremde und Abstraktion - ich finde die Bildchen später nicht mehr wieder.

Diese Fremde äußert sich zudem noch in einer anderen Überlegung, die mir beim Griff in die Weingummi-Tüte (beim Cinestar gibt's fantastischen Weingummi) kam.
Erst nach ein paar ausgetauschten "japanischen" "Sätzen" merkte ich, dass es sich bei der Sprache eben nicht um die grammatikalisch korrekte Sprache handelte, die einem tatsächlichen Informationsaustausch grundlegend ist. Die Ananeinanderreihung von beliebigen (uns Europäern tendenziell bekannten!) japanischen Begriffen hat also eine im ersten Moment tatsächlich überzeugende Simulation (wieder ein Simulakrum gar, möchte man den Film als Kopie der Realität - in dem Fall der Realität der japanischen Sprache - ansehen) einer so fremden Sprache wie dem Japanischen erzeugt. Jeder einzelne Begriff ist mittlerweile bekannt, erfasst und mit Kopfhologrammen versehen. Eine Serie von diesen eingewanderten Begriffen, eine Neugruppierung der Wort-Immigranten aber wirkt noch einmal exotisch und lässt zumindest mich als Nicht-Übersetzungsfähige erst einmal vor der Autorität dieses fremden, ja dann wohl japanischen Klanges in den roten Samtsessel ehrfurchtsvoll in Deckung gehen.

Quellen:
David Zucker, Scary Movie 4, USA 2006.


Sonntag, Mai 21, 2006

Vom Spinnen und Spinnen-Lassen

Hausarbeitsbedingt musste sich die fernöstliche Hirnschau mit den Katakomben meiner "to do"-Liste zufrieden geben. Nun aber möchte ich sie ans Tageslicht der häufig geklickten Lesezeichen zurückbefördern.

"Mein Japan" also - Gerade komme ich aus der Lektüre zweier Seminarskollegen. Die beiden Blogs betonen das mittlerweile schon mehrmals betonte Unverständnis gegenüber Japan. Der eine etwas kürzer, der andere anhand eines konkreten Beispiels aus der Alltäglichkeit japanischen Lebens.
Einige solcher Skurrilitäten hat mir auch meine Freundin Vera (man erinnert sich) geliefert, als wir in einer süddeutschen Seestadt am Hafen samt italodeutschem Eis saßen und sie die drei fernöstlichen Wochen Revue passieren ließ.
Drei davon will ich jetzt, mit Foto, kurz dokumentieren:

Japaner und Englisch
"Das ist so eine Sache." Die Sache ist nämlich die: Grammatisch seien die Japaner aufs Englische getrimmt, sagt Vera. Das eigentliche Sprechen aber gehe in ihrer Spracherziehung völlig unter. Die Regeln werden auf Japanisch besprochen. Und so kämen sie nicht mal im Besprechen der Sprache zum Sprechen der Sprache.

"Liz and John do their homework regularly" (man beachte nur ganz am Rande die suggestive Formulierung)

Eine
für uns völlig unverständliche Weise der Didaktik, wo wir doch schon in der Unterstufe mit Listening Comprehension vor der versammelten, nach vorpubertären Quälereien lechzenden Klasse malträtriert werden.

Japaner und Essen

Graduell skurriler ist das in vielen Blogs bereits durchgekaute (der muss jetzt sein) Essen. "Dann gab's Sushi mit rohem Tintenfisch, noch durchsichtigen Babyfischen und eine Suppe, über die einfach so ein halber Krebs hing" - Dies ein Zitat, das mit einem gewissen Ekel in der Stimme der Zitatsurheberin vorgetragen wurde - letzteres allerdings hat doch den Weg in ihren recht experimentierfreudigen Magen gefunden.
Nein, nun möchte ich nicht mit einem Referat über die "Schrägheit" auf japanischen Tellern respektive Schüsseln und dass besonders sie (die Schrägheit) für die allgemeine Skurrilität "symptomatisch" sind, fortfahren. Die japanische Küche schätzt den gesamten Fisch (
siehe Sushi à la Fisch-Innereien) und wirkt nun mal auf europäische Mägen und Augen sehr gewöhnungsbedürftig bis nicht gewöhnbar. Stattdessen zum Dessert dieses Unterpunktes nur ein paar authentische Bilder, frisch aus Japan, die Harcore-Version von Tante Inges Sushi-Schuppen.


Babyfisch-Sushi,Vera Wiedemann, Digitalfotografie, 2006


halber Krebs in Suppe, Vera Wiedemann, Digitalfotografie, 2006

Japaner und Erscheinungsbild

Die Erzählung, die jedoch am meisten "Die spinnen doch"-Potenzial in sich trägt, ist folgende: Vera sitzt in dieser Episode samt ihrer Gastgeberinnen in einer Bahn, "ich glaub, innerhalb Tokyos", und beobachtet, wie es so oft vorkommt, eine junge Frau beim Schminken. Dass das Auflegen von Make Up in der landeseigenen, doch omnipresent strengen Etikette nicht dem Privatleben, dem Zuhause vorbehalten ist, hat Vera, wenn auch nur peripher verwundert. Die zu-Behübschende trägt sich also inmitten von hochgestressten Pendlern und trotz ÖPNV-bedingten Ruckelns weißen Lidschatten, vielmehr einen simplen weißen Strich auf die Lider auf.
Ästhetisch betrachtet keine Glanzleistung, konstatiert Vera, womöglich japanisch-avantgardistisch, konstatiere ich gedanklich, lauschend und neben meinem Pappeisbecher auch in meiner Klischeekiste stochernd. Nur wenige Momente später bemerke sie dann, dass es sich bei dem Lidstrich nicht um eine farbtechnische, sondern tatsächlich um eine Art ausschließlich ästhetische OP handele. Der Farbstift ähnelte in seiner Funktion mehr dem allzeit praktisch Pritt-Stift denn einem Lipgloss, dessen Design er trug. Tatsächlich war der weiße Strich ein Klebestreifen, mit dem sich die junge Japanerin eine trendy "kaukasische" Lidfalte gebastelt hatte.

Oh ja, was habe ich mich an meinem ach so deutschen Stracciatella über diese ach so japanische Auffassung von "die natürliche Schönheit betonen" verschluckt. Aber sämtliche gesammelten Schockverschluck-Hustenreizer mit einem elitär wertendem Hüsteln zu versehen, möchte ich trotzdem nicht. "Is' halt ne andere Kultur" soll das so lapidare wie wahre Motto sein.
Deswegen soll dieser Blog meine japanischen Trouvailles (Dank an Herrn Kümmel für den Ausdruck) lediglich dokumentieren und sie kraft der "edit"-Funktion, wenn sich die erkenntnistheoretische Muse zu mir an den Schreibtisch setzt, der Wissenschaft zuführen.

Das also ist der Plan. Nun lasset uns fleißig weitersammeln...

Sonntag, Mai 07, 2006

The Significant Other

Vorsicht, dieser Post strotzt nur so vor Stereotypen und Vorurteilen - man verurteile die Verfasserin nicht. Aufgrund mangelner finanzieller Mittel ergab sich bisher nicht die Möglichkeit, Obige durch eine lokale Inaugenscheinnahme der Verhältnisse zu terminieren.

Japan - das Andere, das Exotische, das Paradigma für "Nicht-Wir-Hier", Objekt der eurozentristischen Betrachtung des Klatsches der Kulturen - für mich nicht. Japan war mir nie fremd, ergründenswert aufgrund seiner Komplementarität, Japan erschien mir nie als das Negativ (im fotografischen Sinne!) Mitteleuropas, als das "Down Under" oder "Upside Down" meiner Sozialisation.

Im Gegenteil: Japan kam mir (Achtung, jetzt kommt ein Klischee) unter all den asiatischen Ländern vor als Deutschland am ähnlichsten. In meinem Großhirn stehen in Vietnam, China, Laos, Indien, Thailand, Laos, den Philippinen, Korea, usw. die Menschen auf klapprigen, in Europa längst ausgemusterten oder nur nostalgisch begründet bewahrten Mofas auf sandigen, unebenen Straßen in endlosen Staus, gleichmütig ob des produzierten Abgases, an den Rändern dieser besseren Feldwege lagern arme Menschen, die Regierungen sind gern mal korrupt oder kommunistisch oder beides, dort, ja, dort brechen Krankheiten wie Sars (weiß noch jemand?) oder die bodenseeaffine Vogelgrippe aus, weil dort, ja, dort sind die hygienischen Verhältnisse teilweise so maliziös, wie sie es bei uns schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr sein durften. Klar gibt es zivilisierte Hauptstädte mit Malls, Wissenschaftsstandorte, funkelnden Reichtum und den ein oder anderen Wohlstandler. Aber die gemeine Bevölkerung, die, die bei uns gut lebt zwischen Playstation und DVD-Player, mit Aldi-Großeinkauf und Europaparkbesuch, die gibt es kaum oder nicht.
Japan dagegen - eine Insel. Ein dem europäischen Standort naher, ihm technologisch-avantgardistisch oftmals weit überlegener Hort der Zivilisation, der - ha - europäischen Wohlstands-Normalität inmitten all der verwahrlosten (sie können ja nix dafür!) anderen Asiaten. Vielleicht auch gerade darin begründet, dass Japan eine Inselrepublik ist. Dort, wo die Zivilisation blüht, eigentlich gar nicht mehr blühen muss, weil sie ja schon europagleich seit langem Standard ist. Klar, Philippinen, Thailand, Korea, auch alles (Halb-)Inseln. Aber entweder schon wieder so südlich, dass sie aufgrund der klimatischen Verhältnisse Probleme hegen müssen, oder ach ja, politisch begründet in Schwierigkeiten schwelgen oder, ja Thailand, da gibt es doch Sextourismus und diese heiratsmarktwert-gestraften Deutschen, die sich hoffnungsfrohe Einheimische exportieren lassen.

In Japan ist das alles nicht so. Soweit meine Imagination. Dass "'die Japaner' spinnen" wurde mir dann schrittweise durchaus bewusster. Aber erst in betreffendem Seminar erkannte ich, dass das Dort anscheinend im allgemeinen Bewusstsein wohl tatsächlich als "das schräge, der westlichen Wahrnehmung und Normalität ver-rückte Drüben" angesehen wird.

Habe ich mich nun einfach zu sehr auf oben ausführlichst beschriebene Klischees eingefahren, Klischees, die eine seltsame Opposition zu den "die sind ja so komisch"-Klischees, die auch (natürlich bewussterweise) in vielen Blogs bemüht wurden, bilden? Oder habe ich unbewussterweise bereits eine kleine Teilmission des Seminars geschafft, nämlich die Erkenntnis, dass "die" "so anders" gar nicht sind?


(Ebenfalls sei der Autorin die Verwendung des psychologisch womöglich überholten Konzepts des "Bewussten" und "Unbewussten" nachgesehen - ich bin Literaturwissenschaftlerin und darf das, wenn in Texten aus 1995 immer noch von Phallus-Symbolik die Rede ist [seminarfremd, aber das musste ich mal schnell loswerden].)